HeimatLand. Zur Modernität des Ruralen
Das Wiedererstarken rechtspopulistischer Parteien hat der diskursiven Verschränkung von „Heimat“ und „Land“ neue Aufmerksamkeit beschert. Was in der öffentlichen Wahrnehmung über viele Jahrzehnte als Teil der sogenannten Volkskultur eher ein Randdasein führte und vor allem mit Tourismus, Unterhaltungsindustrie und damit dem Freizeitbereich verbunden war, ist nun ein zentrales Element von Regierungsprogrammen. Dabei waren ursprünglich weder das auf die deutsche Frühromantik zurückgehende Konzept von „Heimat“ noch der Begriff des „Heimatlands“ so dezidiert mit dem ländlichen Raum verknüpft, wie dies in der weiteren Geschichte der Fall war (Applegate 1990).
Von Seiten der Geschichtsforschung, Politikwissenschaft und Ethnologie wurde insbesondere der Begriff „Heimat“ problematisiert. Zu diesem als aus der deutschen Sprache „unübersetzbar“ geltenden Begriff gibt es bis heute keine allgemeingültige Definition. „Heimat“ bzw. „Heimatland“ werden häufig als ein nahbareres Gegenüber zur abstrakten „Nation“ beschrieben, wobei vor allem „Heimat“ stark individuell geprägt und emotional aufgeladen ist und eher eine Idee oder Konzept umschreibt als präzise benennt (Oesterheld 2021). Umso wirkmächtiger sind die materiellen und immateriellen Bilder und Werke, welche die Vorstellungen von „Heimat“ und „Heimatland“ in den diversen Künsten ebenso wie in den Massenmedien hervorgebracht haben – in der „Hochkultur“ ebenso wie in der „Volks-“ sowie der „Populärkultur“.
In der Kombination mit „Heimat“ werden „Land“ und „Landleben“ – auch in Abgrenzung zur Stadt – zu Synonymen für Traditionsbewusstsein, Kontinuität, Authentizität, Naturnähe, Vertrautheit oder Gemeinschaft, ebenso für Eigenschaften wie Bescheidenheit, Aufrichtigkeit oder Gemütlichkeit. So verstanden, stellen diese Begriffe einen Gegenentwurf zur als wandelbar, schnelllebig, potenziell bedrohlich und entfremdet wahrgenommenen Gegenwart dar, kristallisiert im urbanen Raum und der industrialisierten, technisierten und globalisierten Moderne schlechthin.
Die sentimental überhöhte, folkloristische Idee von „Heimat“ als ländliches Idyll blendet die tatsächlichen wirtschaftlichen, sozialen und pluralen kulturellen Bedingungen des Daseins auf dem Lande mit seinen vielfach thematisierten Erfahrungen von Armut, Rückständigkeit, Ausgrenzung, sozialer Kontrolle, Stagnation und Perspektivlosigkeit, die bis heute zu Phänomenen wie Landflucht führen, aus oder verschleiert sie. Im Gegenzug zum „Dorfsterben“ wird der rurale Raum seit dem 19. Jahrhundert zu einem Rückzugsort urbaner Eliten, Mitgliedern künstlerischer Avantgarden bis hin zu bürgerlichen „Aussteigern“, die hier in eine oft nur temporär genutzte (Zweit-)Heimat investieren (Pese u.a. 2002).
Die Verengung des Heimatbegriffs auf eine idealisierte, rückwärtsgewandte Vorstellung von „Land“ und „Landleben“, die neben den Medien (z.B. ORF III-Doku-Serie „Heimat Österreich“), politischen Diskursen, der Touristik auch in Heimatvereinen und vielen musealen Präsentationen von Orts- und Heimatmuseen verbreitet und aufrechterhalten wird, verdeckt die tatsächliche Pluralität des ruralen Raumes, der keinen Gegenentwurf zur, sondern einen Teil der Moderne darstellt und als dynamisch verstanden werden muss.
Unter dem Titel „HeimatLand“ adressiert die Tagung die Vielfalt des Ruralen. Sie möchte zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Diskursen und Konzepten von „Heimat“, „Land“ und „Heimatland“ in Vergangenheit und Gegenwart anregen und auch diesbezügliche Zukunftsmodelle in den Blick nehmen. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf der Frage der „Modernität“ des Ruralen liegen.
Mögliche Themenbereiche sind:
· Heimatbegriffe, Heimatbilder
· Landleben und Dörflichkeit in der Geschichtsschreibung des ländlichen Raumes
· Heimatvereine, Trachten, Folklore
· Politische und ideologische Instrumentalisierungen von „Heimat“, „Land“, „Heimatland“
· Musealisierte „Heimat“: Dorfmuseen, Heimatmuseen, Freilichtmuseen
· „Heimat“ und Landleben in den Künsten: Populäre Bildkulturen, „Hochkunst“, Heimatromane, Heimatfilme, Musik, Fotografie usw.
· Land und Landleben in den Massenmedien: Heimatkitsch, Heimatromantik
· Wessen Heimat? Landbewohner:innen, Migration, Religionsgruppen, Sommerfrischler, Künstlerkolonien, „Aussteiger:innen“
· Arbeiten auf dem Land: Landwirtschaft, Gewerbe, Handwerk, Industrie, Dienstleistungen, Verwaltung, Tourismus
· Heimatkunde: „Heimat“ und „Land“ in der Bildung
· „Land“ als „Dritter Raum“
· Innovationsraum „Land“
Wir freuen uns über Themenvorschläge für Vorträge (Länge: 20 Minuten + 10 Minuten Diskussion). Bitte senden Sie Ihre Themenvorschläge zusammen mit einem Abstract (maximal 1 Seite; Sprachen: Deutsch, Englisch) und einem Kurzlebenslauf bis spätestens 31. Mai 2025 an:
Birgit Dörfl, Institut für Österreichkunde, Hanuschgasse 3/Stg.4/1046, A-1010 Wien
E-Mail: ioek.wirtschaftsgeschichte@univie.ac.at
Die Benachrichtigung über Zu-/Absage erfolgt Mitte Juni 2025.
Die Reise- und Aufenthaltskosten der Vortragenden werden vom Veranstalter übernommen.
Wissenschaftliche Leitung:
Univ.-Prof.in Dr.in Anja Grebe, Univ. Prof. Dr. Thomas Hellmuth
Veranstalter:
Institut für Österreichkunde in Kooperation mit der Universität für Weiterbildung Krems – Department für Kunst- und Kulturwissenschaften, der Universität Wien – Didaktik der Geschichte und der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich
Kooperationspartner:
Institut für Geschichte des ländlichen Raumes, St. Pölten
Kontakt
Birgit Dörfl, Institut für Österreichkunde, Tel.: +43/1/512 79 32,
E-Mail: ioek.wirtschaftsgeschichte@univie.ac.at